TSK Bern
Könizstrasse 157CH-3097Liebefeld
+41 31 332 45 75bern@tsk.ch
TSK Zürich
Stauffacherquai 54CH-8004Zürich
+41 44 291 94 94zuerich@tsk.ch

Tauchreise Socorro 2022La Paz / Socorro 2022

Von weissem Pulver und surrealen Täuchgängen

Prolog


Wer Maik kennt weiss, dass er weder über hellseherische Fähigkeiten noch über ein übermässig temperamentvolles Gemüt verfügt. Die Natur lässt sich ebenso wenig planen, wie die Entstehung einer neuen COVID-Variante. Dementsprechend ist unser «Hausfotograf» grundsätzlich dankbar für jeden Tauchgang und akzeptiert bereitwillig, was auch immer ihm die Natur vor die Linse zaubert. Beides sollte im Verlauf unserer Reise im Ostpazifik widerlegt werden...
Zu Beginn unseres Abenteuers steht jedoch etwas anderes im Zentrum des Geschehens. Ein weisses Pulver sorgt dafür, dass sich unsere beiden Semi-Closed Rebreather-Taucher (kurz: SCR), André Fahrni und Stefan Schlegel, vorübergehend als Protagonisten in einer neuen Staffel der Netflix Serie «Narcos» wiederfinden. Rückblickend erscheint die ehemals glorreiche Idee, 21 kg weisses Pulver in einem Kanister über den Luftweg nach Mexiko zu schmuggeln als... nun ja, gelinde gesagt... mutig. Nicht ganz überraschend wird der Kanister bei der Ankunft in Mexiko City beschlagnahmt. 
Weitaus überraschender ist jedoch, dass Ändu und Schlegi ausgerechnet vom mexikanischen Flughafenpersonal ins kleine Einmaleins des Drogenschmuggelns eingeführt werden. Getarnt in einer blauen Sporttasche würde es das weisse Pulver (A.d.R. beim weissen Pulver handelte es sich um Sofnolime 797 Atemkalk) mühelos bis zum Hauptsitz des Sinaloa Kartells schaffen. Die diesbezüglichen Ansprüche sind jedoch deutlich geringer. Das Costa Baja Resort in La Paz würde den beiden völlig reichen. Der Konjunktiv lässt es bereits erahnen: das Bild der einsamen und leeren blauen Tasche auf dem Rollfeld des Flughafens brennt sich in die Erinnerung vieler unserer Reiseteilnehmer ein. Ein trauriges Mahnmal mexikanischer Bürokratie, ähnlich einem einsam vor sich hin rollenden Strohballen, als Symbol für die Ödnis einer ausgestorbenen Geisterstadt.

Teil 1 – La Paz (5. – 10. Februar)


Am Nachmittag des zweiten Reisetages stossen wir in La Paz im Costa Baja Resort auf den Rest unserer bereits am Vortag angereisten Gruppe. 17 Taucherinnen und Taucher... komplett. Moment, da fehlt doch noch einer? Unsere Reiseleitung scheint uns abhandengekommen zu sein. Ein Umstand den die Gruppe jedoch mit feinstem mexikanischem Essen und genügend Getränken locker wegzustecken vermag. Bereits am ersten offiziellen Tauchtag stehen Tauchgänge mit Seelöwen auf dem Programm. Die Sicht ist zwar bescheiden und auch die Wassertemperatur erinnert irgendwie an den Zürichsee. Das Naturspektakel über und unter Wasser ist jedoch atemberaubend. Die nächsten Tage stehen ganz im Zeichen von weiteren ähnlichen Tauchgängen und dem Schnorcheln mit Walhaien. Zudem ist die Reise so angesetzt, dass wir im Vorprogram Grauwale beobachten können. An den Abenden wächst die Gruppe bereits im Vorfeld des eigentlichen Reisezieles zusammen. Besonders das Restaurant Bismarkcito und das El Zarape vermögen zu überzeugen und mit jedem Herradura Reposado Bandera steigt die Vorfreude auf die bevorstehende Tauchsafari. Ach ja, bevor ich es vergesse... die Reiseleitung hat sich nach den ersten Tauchgängen mit den Seelöwen ebenfalls noch zu uns gesellt.

Teil 2 – Tauchsafari Revillagigedo (10. – 17. Februar)

«Socorro im Februar ist ein absolutes Highlight. Hier hast du die Möglichkeit, mit riesigen pazifischen Manta Rochen, Delfinen und bis zu 10 Haiarten zu tauchen – dazu gehören auch Walhaie und Schwärme von Hammerhaien!» So oder ähnlich wurde mir die Tauchreise im März 2021 angepriesen. Gut ein Jahr und gefühlte 5 Pandemiewellen später setze ich gemeinsam mit 17 weiteren Taucherinnen und Tauchern und angeführt durch Reiseleiter André Fahrni Fuss auf die Socorro Aggressor. Unser Zuhause für die nächsten 7 Tage bietet Platz für 26 Passagiere. Perfekter Service und Spitzenverpflegung sind garantiert.
Sich beim Reisebericht auf Socorro zu beschränken ist eigentlich falsch. Die Tauchreise führt nämlich zum Archipel Revillagigedo, einer Inselgruppe bestehend aus vier Vulkaninseln. San Benedicto, Socorro (die grösste der vier Inseln) und Roca Partida werden typischerweise von Liveaboard Touren angesteuert. Das weiter westlich gelegene Clarión steht aufgrund der Entfernung nicht auf dem Programm.
Vor der fast 27 stündigen Überfahrt zu der ca. 450 km entfernten Insel San Benedicto, unserem ersten Reiseziel, wurden wir schon im Vorfeld gewarnt. Kein Wunder also, dass sich einige Reiseteilnehmer so ziemlich jedes Medikament gegen Seekrankheit in einer Dosierung zuführen, welche jeden Buckelwal ausser Gefecht setzen würde. Was uns dann allerdings erwartet, ist bestes Wetter und ein Seegang, wie er ruhiger nicht sein könnte.
Die ersten beiden Tauchtage um San Benedicto bescheren uns Begegnungen mit Delphinen, verschiedensten Haiarten und diversen Manta Rochen. Angeregt durch einen abendlichen Vortrag zum letztgenannten Meeresbewohner entwickelt sich insbesondere Reto zu einem wahren Experten der Geschlechteridentifikation bei Mantas und anderen Grossfischen.
Socorro wartet am nächsten Tag ebenfalls mit zahlreichen Haiarten auf. Weissspitzen-, Silberspitzen-, Galapagos-, Seiden- und Hammerhaie werden ebenso gesichtet wie ein Tigerhai. Ein weiteres Highlight sind Buckelwalgesänge, welche während des Tauchganges zu uns dringen. Die perfekte Einstimmung für den abendlichen Vortrag unseres Tauchkollegen und Walexperten Pierre zum Thema Buckelwale. Es ist nicht so, als hätte Maik nicht immer wieder darauf hingewiesen, aber er verkündet jetzt ein weiteres Mal mit Nachdruck, dass er für morgen Vormittag pünktlich zu unserem ersten Tauchgang bei unserer dritten Destination Roca Partida einen Buckelwal bestellt habe.
Bei Roca Partida handelt es sich im Wesentlichen um einen Felsen von ca. 100 m Länge und 8 m Breite. Spektakulär dabei ist nicht seine bescheidene Ausdehnung, sondern vielmehr seine Farbgebung. Über die Jahre hinweg hat der Stein nämlich ein strahlendes und ziemlich flächendeckendes Weiss angenommen, zurückzuführen auf die unzähligen gefiederten Bewohner resp. deren Fäkalien.

Was uns ebenfalls ins morgendliche noch leicht verschlafene Auge sticht, ist eine Wasserfontäne draussen auf dem Meer. Kann das sein? Tummelt sich da etwa ein Buckelwal? Die Erregung steigt, als sich der dunkle Schatten unserem Tauchplatz zu nähern beginnt. Und tatsächlich - wie von Maik vorhergesagt! Wir mögen es ihm alle gönnen, als er sich gemeinsam mit unserem Walexperten Pierre und dem Rest der ersten Gruppe der Einstiegsstelle nähert. Irgendetwas scheint jedoch schief zu laufen. Das Motorboot kehrt um?! Wie es scheint hat der Dive Guide seine Flossen vergessen. Die beiden anderen Gruppen tauchen ab. Was in den nächsten 50 Minuten folgt, werde ich mein Leben lang nicht vergessen!
Bereits kurz nach dem Abstieg vernehmen wir die Buckelwalgesänge. Sie begleiten uns während den ersten Minuten und schon bald beschleunigt unser Dive Guide mit kräftigen Flossenschlägen. Vor uns löst sich ein surreal gross wirkender Schatten aus dem Blauwasser. Eine Buckelwalmutter zieht mit ihrem Kalb an uns vorbei. Die Zeit bleibt für einen Moment stehen und 8 Taucher starren ungläubig auf dieses atemberaubende Spektakel, welches sich in Zeitlupe vor unseren Augen abspielt. Gegen Ende des Tauchganges treffen wir ein zweites Mal auf die beiden. Dieses Mal verharren Mutter und Jungtier schwerelos vor unserer Gruppe. Es wirkt auf uns wie ein Spezialeffekt aus einem Film, so unwirklich, wenn sich das Neugeborene (1-2 Wochen alt), immerhin so gross wie ein Kleinlaster, an die Oberfläche bewegt, Luft holt und sich wieder unter der Mutter platziert. Diese misst ca. 16 Meter und bringt wahrscheinlich etwa 40 Tonnen auf die Wage. Irgendwann geht unsere Luft zur Neige und wir tauchen wieder auf.

Die Aufregung ist gross und wir können es kaum erwarten, unsere Eindrücke, Foto- und Videoaufnahmen mit unseren Tauchkolleginnen und Kollegen zu teilen. Ich freue mich vor allem für Maik. Bestimmt hat er tolle Aufnahmen gemacht! Bei der Rückkehr auf die Aggressor wird aber schnell klar, dass dieser einmalige Tauchgang nur unserer Gruppe vergönnt war. Wegen einer vergessenen Flosse wurde unser selbsternannter Meeresflüsterer um seinen vielleicht letzten verbleibenden Traum als Taucher gebracht! Erinnert Ihr Euch an den Prolog? Für Maik ist der Moment des mentalen Breakdowns gekommen und so lässt er seinem Frust verständlicherweise freien Lauf.

Zur Freude aller entscheidet sich das Mutter/Kalb-Gespann jedoch wider Erwarten zu bleiben. So kommen wir alle während der nächsten zwei Tage immer wieder in den Genuss von Tauchgängen mit diesen sanftmütigen Giganten. Auch in der Nacht begleiten uns die Walgesänge in den Schlaf, insbesondere in den unteren Schiffskabinen. Angesichts dieses einmaligen Erlebnisses drohen die anderen gesichteten Meeresbewohner beinahe in Vergessenheit zu geraten, darunter einmal mehr unzählige Weissspitzenhaie und auch eine Schule von Hammerhaien.
Dankbar und demütig nehmen wir Abschied von Roca Partida und treten nach einem Zwischenhalt in San Benedicto schliesslich die Heimreise an.
 

Epilog

In der Zwischenzeit hatten wir Gelegenheit, etwas zu recherchieren. Bei der Buckelwalmutter handelt es sich um das Tier CRC-16908, welches 2015 zum letzten Mal in Revillagigedo gesichtet wurde. Mittlerweile hat sie von uns den liebevollen Namen Helvecita erhalten, welcher auch so in der Datenbank von Happywhale hinterlegt ist. 
Drei Wochen sind seit unserer Rückkehr vergangen. Es ist Anfang März 2022. Die Sorge über die Corona-Pandemie ist einer noch viel grösseren Sorge gewichen. Ein narzisstischer Mann führt Krieg gegen ein Land und droht damit ganz Europa und den Rest der Welt ins Verderben zu stürzen. Könnte dieser Mann nur sehen, was wir sehen durften. Er bekäme ein Gefühl dafür, dass es so viel mehr zu erhalten anstatt zu zerstören gibt. Und vielleicht auch dass es mehr gibt, was uns vereint als uns voneinander trennt.

Stefan Schlegel